Endlagerung als ultimatives Argument gegen Kernspaltungskraftwerke?

Immer wieder hört man als ultimatives Argument gegen Atomkraftwerke (basierend auf Kernspaltung*), dass die lange Lagerzeit des anfallenden Atommülls und die Unmöglichkeit eines solchen Lagerplatzes die Stromerzeugung durch Kernspaltung unethisch macht. Denn selbst wenn Atomkraftwerke sicher betrieben werden können, um den Müll führt ja kein Weg herum. Sogar alternative Reaktoren und Konzepte (Thorium, Flüssigsalz) werden Müll produzieren, auch wenn dieser gegebenenfalls geringer und weniger radioaktiv ist. So sieht es zumindest Harald Lesch in diesem Video um in seinem Fazit daher jegliche Kernkraftwerke als unethisch zu klassifizieren. Der hauseigene ZDF-Populärwissenschaftler mischt allerdings gern auch mal persönliche Ansichten seinen Videos bei.

Diese einseitige Bewertung, finanziert durch den Rundfunkbeitrag, hat mich motiviert, selbst einmal über das Thema nachzudenken. Ich stimme Herrn Lesch in Folgendem zu: Einen Lagerplatz auf der Erde zu finden, der für eine Million Jahre sicher von geologischen Aktivitäten verschont bleibt, ist sehr unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich. Atommüll im Meer zu versenken mag zwar eine maximale Distanz zu den Kontinenten herstellen, kann aber auch keine Lösung sein.

Gibt es nicht auch andere Lösungen, Atommüll sicher zu entsorgen oder sogar zu vernichten, die technisch möglich sind? Eine Möglichkeit, auf die schon andere gekommen sind: Der Weltraum. Hier gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten, abhängig von den Bedürfnissen:

  1. Wir könnten den Atommüll eines Tages ja doch noch gebrauchen. Der Müll sollte also am besten in einem Parkorbit in unserem Sonnensystem bleiben.
  2. Wir wollen den Müll auf jeden Fall los werden, wollen ihn aber auch möglichen Aliens ebenfalls nicht zumuten: Hier bietet sich die Sonne zur Müllverarbeitung an (ist aber nicht so einfach).
  3. Wir wollen den Müll einfach nur los werden: Hier sollte der günstigste Kurs aus unserem Sonnensystem heraus ermittelt werden.

Die Weltraumalternative war allerdings in der Vergangenheit extrem teuer, weshalb (unter Anderem) diese Option wohl nicht die erste Wahl gewesen ist. Jedoch sollte diese Option regelmäßig geprüft werden, da sie mir als Königsweg erscheint. Aus Interesse will ich daher gern einmal die aktuellen Kosten für die Entsorgung des deutschen Atommülls außerhalb der Erde berechnen ohne den Anspruch der Vollständigkeit zu haben.

*Ich erwähne hier extra nur Kernspaltung, da ja auch Kernfusion zur "Kernkraft" gehört, aber gänzlich andere Voraussetzungen und Abfallprodukte hat.

Menge des Atommülls

Die wichtigste Frage ist natürlich: Wie viel Atommüll entsteht in Deutschland aktuell überhaupt? Hier nehme ich mir bewusst eine Quelle heraus, die motiviert ist, diese Zahl so hoch wie möglich zu festzulegen: Greenpeace. Hier kann ich sicher sein, dass alles, was auch nur im Entferntesten als Atommüll gezählt werden kann, schon einberechnet ist. Greenpeace gibt auf dessen Webseite eine Zahl von 230 Tonnen / Jahr an.

Die nächste Frage ist also, wie viel davon ist so schlimm und vor allem so lang strahlend, dass er auf jeden Fall weit weg gebracht werden sollte? Gefunden habe ich eine Webseite, die den Anteil an mittel-radioaktiven Müll mit 7 % und hoch-radioaktivem Müll mit 3 % beziffert. Als Quelle bezieht man sich dort auf das Buch Sustainable Energy - Without the Hot Air von David J. C. MacKay, UIT Cambridge, 2009. Da Atommüll schlecht ist, wollen wir zur Rechnung auch schon mittel-radioaktiven Müll entsorgen, insgesamt also 10 % des ganzen Atommülls.

Entsorgungskosten außerhalb der Erde

Jetzt wissen wir, wie viel Atommüll wir so im Jahr erzeugen. Wie teuer wäre es nun diesen über eine Rakete im Jahr 2017 ins Weltall schiessen zu lassen? Der Preis lässt sich am besten als Kosten pro kWh Atomenergie beziffern, da er so auf die Verbraucher umgelegt werden könnte.

Laut Fraunhofer ISE wurden im Jahr 2017 72,14 TWh elektrischer Energie durch Kernkraft erzeugt. Interessant wären also, basierend auf unseren Zahlen, der erzeugte Atommüll pro kWh elektrischer Energie. Hier kommen wir auf:

In [2]:
e_akw_kwh = 72.14 * 1e9
akw_waste_kg = 230 * 1e3
waste_kg_per_kwh = akw_waste_kg / e_akw_kwh
print("%.9f kg pro kWh erzeugter Energie" % waste_kg_per_kwh)
0.000003188 kg pro kWh erzeugter Energie

Eine sehr kleine Zahl, also schauen wir uns die mg pro kWh an:

In [3]:
print("%.1f mg pro kWh erzeugter Energie" % round(waste_kg_per_kwh * 1e6, 1))
3.2 mg pro kWh erzeugter Energie

Es werden also 3,2 mg an Atommülls pro erzeugter Kilowattstunde Energie produziert. Eine andere Quelle kommt auf 0,6 mg pro kWh. Greenpeace war also wirklich sehr großzügig bei ihrer Abschätzung der Atommüllmenge.

Aber zurück zum Thema. Wie viel Atommüll muss entsorgt werden? 10 % unseres jährlichen Mülls von 230 Tonnen:

In [4]:
medium_heavy_waste_kg = akw_waste_kg * (0.07 + 0.03)
print("%d kg Atommüll" % medium_heavy_waste_kg)
23000 kg Atommüll

Logischerweise 23 Tonnen oder 23000 kg.

Die günstige Rakete in 2018 ist meines Wissens nach die SpaceX Falcon Heavy Rakete. Hier lassen sich für 90 Millionen Dollar (ohne Rabatte), also 73 Millionen Euro, knapp 64 Tonnen Nutzlast in einen niedrigen Erdorbit befördern. Für einen Transport weiter hinaus muss man wahrscheinlich Nutzlast gegen Treibstoff tauschen. Diesen Effekte lasse ich erst mal außen vor, da ich diesen nicht abschätzen kann. Die aktuellen Kosten in Euro pro kg sind also:

In [5]:
cost_eur_per_kg = 73e6 / 64e3
print("%.2f Euro pro kg" % cost_eur_per_kg)
1140.62 Euro pro kg

Diesen könnten wir dann auf den zu entsorgenden Atommüll umrechnen:

In [6]:
cost_total_waste_eur = cost_eur_per_kg * medium_heavy_waste_kg
print("%.2f €" % round(cost_total_waste_eur, 2))
26234375.00 €

Eine ganz schön große Zahl, schreiben wir lieber mal in Millionen Euro:

In [7]:
print("%.3f Millionen Euro" % round(cost_total_waste_eur / 1e6, 3))
26.234 Millionen Euro

Schon besser und erstaunlich wenig Geld. Wie viel ist das also für einen Verbraucher, die dieser pro Kilowattstunde extra zahlen müsste? Hier zu nehmen wir die Kosten für die Entsorgung und teilen durch die von Kernkraftwerken erzeugte Energie in 2017.

In [8]:
cost_per_kwh_electricity = cost_total_waste_eur / e_akw_kwh
print("%.6f Euro pro kWh" % round(cost_per_kwh_electricity, 6))
0.000364 Euro pro kWh

Gar nicht so viel in Euro, und in Cent?

In [9]:
print("%.6f Cent pro kWh" % round(100. * cost_per_kwh_electricity, 4))
0.036400 Cent pro kWh

Es müssten also 0,0364 Cent auf eine kWh elektrischer Energie aus Kernkraft aufgeschlagen werden, um die Entsorgung (auf diese simple Weise berechnet) im Weltall zu ermöglichen. Selbst, wenn meine Abschätzung total falsch ist, die Greenpeace-Müllmenge stimmt und die Transportkosten ins weite All hinaus rund 10 Mal höher ausfallen, sind dies trotzdem noch unter 0,4 Cent auf eine kWh gerechnet.

Klingt immer noch günstig, aber ist das auch machbar?

Aktuell wohl nicht. Denn wenn eine Rakete mit 23 Tonnen Atommüll in der Atmosphäre explodiert, wäre das sicherlich eine Katastrophe. Und auch wenn Starts und sogar Landungen bei SpaceX mittlerweile gut klappen, ist es aktuell wohl das Risiko nicht wert. Die Zuverlässigkeit müsste die eines Castor-Transportzugs erreichen, um eine wirkliche Alternative zu sein.

Trotzdem: Das Thema sollte man regelmäßig, zum Beispiel alle 10 Jahre, neu bewerten. Es tut sich einiges im Bereich der Raumfahrt. Elon Musks Ziel mit der aktuellen Raketengeneration sind $1100 pro Kilogramm, also aktuell weniger als 900 €. Die Entwicklung wird nicht anhalten und ähnlich zu vielen anderen Dingen wie Passagierflugtickets dürfte über die nächsten Jahrzehnte Frachtverkehr im Weltraum extrem günstiger und gleichzeitig die Zuverlässigkeit extrem höher werden. An irgendeinem Punkt ist also Die Entsorgung im All eine echte Alternative.

Kein Endlager nötig

Es muss also gar kein Endlager für Atommüll gefunden werden, das eine Million Jahre überdauert. Der Zeitraum ist deutlich kürzer, vielleicht 200 Jahre, vielleicht 100 Jahre, vielleicht aber auch nur 20 Jahre. Das Lagerproblem scheidet daher als ultimatives Argument gegen Kernkraft aus.